Seilunterstützte Zugangstechniken
Seilunterstützte Zugangstechniken (SZT), landläufig als Industrieklettern oder auch Arbeit am Seil bezeichnet, ist die Arbeitsplatzpositionierung mittels Seilen zur Verrichtung von handwerklichen, überwachenden oder anderen Aufgaben, unter Verwendung von Techniken die sich aus bergsportlichen Abseil- und Klettertechniken entwickelt haben.
 
Geschichte
Erfunden wurde die Industriekletterei in den 1970ern in England. Die Errichtung, Wartung und Sanierung der Bohrinseln in der Nordsee bewog britische Alpinisten mit Seiltechniken zu arbeiten. Es entstand das Arbeitsverfahren mit einem zweiten Sicherungsseil. Die Öl- und Gasindustrie verlangte nach einem redundanten Seil und am Seil ausgebildeten Arbeitern. Es wurde später der Verband Industrial Rope Access Trade Association (IRATA) gegründet. Mit weltweit über 15000 lizenzsierten Industriekletterern die größte Vereinigung im Bereich der seilunterstützten Arbeiten.
Etwa 10–15 Jahre später wurde diese Technik auch in der DDR eingesetzt. Damals waren viele Plattenbauten stark sanierungsbedürftig, da der Beton undicht wurde und Kälte und Nässe durchließ. Da Gerüste oder Hebebühnen Mangelware waren, kletterten Hobbyalpinisten selbst an die Fassaden und reparierten sie, ohne ein Gerüst, Hebebühne oder Kran zu benötigen. Nach der Wiedervereinigung wurde die Industriekletterei in ihrer Entwicklung gestoppt, da diese Form der Bauarbeit vom Arbeitsschutz nicht anerkannt war. Erst 1995 wurde in Deutschland der Fach- und Interessenverband für seilunterstützte Arbeitstechniken, kurz FISAT gegründet.

Im selben Jahr etablierten die Künstler Christo und Jeanne-Claude die Industriekletterei in Europa weiter, indem ihr Mitarbeiter Bodo Senkel eine Sondergenehmigung für den Einsatz von Industriekletterern bei der Verhüllung des Reichstags erwirkte. Einen endgültigen Platz in der Bausparte Deutschlands erreichten die Industriekletterer 1997, als der FISAT Richtlinien zur Ausbildung und Sicherheit herausgab und damit die letzten Bedenken in den Ämtern zerstreute. Seit 1997 können Industriekletterer eine anerkannte Ausbildung machen, die unter Beweis stellt, dass sie verantwortlich auf Baustellen agieren und weder sich noch andere gefährden.

 
Professionelle Branche
Erst seit Mitte der 1990er Jahre sind seilunterstützte Zugangs- und Positionierungsverfahren formal von der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft zugelassen. Der Fach- und Interessenverband für seilunterstützte Arbeitstechniken e.V. (FISAT) tritt hierbei als Interessenvertreter der Branche auf. International anerkannt sind allerdings fast ausschließlich die Lehrgänge nach IRATA.
 
Abgrenzung
SZT grenzen sich vom Klettern als Sport ab, da die Motivation hier nicht aus der persönlichen Bezwingung eines Hindernisses (Wand, Berg, …) erfolgt, sondern aus der problemorientierten Lösung eines infrastrukturellen Problems. Meist geht es hierbei um Arbeiten an einem Ort, der auf anderem Wege nicht oder nur mit kosten- und materialintensiven Mitteln erreichbar wäre.
In der Vorgehensweise ist es auch nicht mit dem technischen Klettern zu vergleichen, da prinzipiell in 90 % der Anwendungsfälle eine Annäherung von oben durch Abseilen erfolgt.
 
Verfahren
Höhenarbeiter (ausgebildete Anwender von SZT) seilen sich vorwiegend unter Verwendung von genormter Spezialausrüstung wie halbstatische Seile (heute fast ausschließlich halbstatische Polyamid-Kernmantelseile), Verbindungselemente (Karabiner) und -mittel (vernähte Bandschlingen), selbstblockierende Abseilgeräte und mitlaufende Auffanggeräte sicher an die Arbeitsstelle ab und verrichten dort ihre Aufgaben. Anschließend seilen sie sich dann abhängig von den örtlichen Gegebenheiten bis zum Boden ab oder steigen am Seil wieder auf.
Zur Absturzsicherung wird aus Sicherheitsgründen im Gegensatz zum Sportklettern fast ausnahmslos ausschließlich mit einer zweiten Sicherung gearbeitet.
 
Vorteile
Industriekletterer haben mehrere große Vorteile gegenüber dem Gerüstbau, da sie sich wesentlich flexibler und schneller bewegen können als bei einem Gerüst, und auch an schwer zugänglichen Baustellen arbeiten können, die entweder zu hoch oder unzugänglich für ein Gerüst oder einen Kran sind. Außerdem sind die Absperrungen und die damit verbundene Behinderung des Fußgänger- oder Straßenverkehrs unterhalb der Baustelle in wesentlich kleinerem Umfang nötig als bei Gerüstarbeiten.
Industriekletterer sind meist auch kostengünstiger als andere Alternativen, da keine teuren Geräte- und Materialkosten anfallen. Ebenso können Bau- oder Instandsetzungskosten minimiert werden, da die 'Rüstzeiten' (Zeitspanne der Arbeitsvorbereitung) für eine Einrüstung oder Kranaufstellung deutlich reduziert werden und Stellplatzgenehmigungen (zumeist kostenpflichtig im öffentlichen Raum) vermieden werden können. Das Verfahren ist allerdings nachrangig zu technischen Maßnahmen zu betrachten. Kommt es zum Unfall mit Sach- oder Personenschaden, wird ermittelt ob die Gefährdungsermittlung ein anderes Verfahren zwingend erfordert hätte.
 
Nachteile
Seilunterstützte Zugangstechniken sind in der Regel nur in Arbeitsbereichen einsetzbar, wo keine extrem schweren oder sperrige Werkstoffe verarbeitet werden müssen, da ansonsten evtl. technische Hilfsmittel, wie Gerüste oder Kräne zurückgegriffen werden muss. Ebenso können die Arbeiten von Industriekletterern witterungsbedingt (starker Wind, Sturm, Schnee, … ) einzustellen zu sein.
 
Einsatzgebiete

Höhenarbeiter kommen überall dort zum Einsatz, wo Gerüste, Hubsteiger oder Kräne zu teuer, zu aufwändig oder zu zeitintensiv für die zu verrichtenden Arbeiten sind.